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08.02.2012

"C´est la vie!"

aus dem Kongo

Da bin ich wieder mit vielen Erlebnissen der letzten Woche, die teilweise noch nicht verarbeitet sind, da sie zu frisch sind...

Wenn ich in die Arbeit komme, werde ich von Sophie und Felix schon mit "Guten Morgen" begrüsst, was mich immer sehr freut. Wie ich mit ihnen ausgemacht habe, dass ich sie heute während der OP frage, was wir heute operieren und sie dann sagen "heute operieren wir eine Hüftprothese" (auf deutsch natürlich), sind sie vor lauter Freude darauf ganz aufgeregt gewesen! Mit dieser Hüftprothese bin ich umgegangen wie mit einem rohen Ei - sie war die Einzige, die im Haus vorhanden war und wurde aus Argentinien geliefert! Mit Sophie kann ich mich schon wieder ein Stück besser unterhalten und wenn sie beim Deutschreden zu Felix sagt, dass es eh ganz einfach ist, kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen, ihr Deutsch hört sich nach wie vor anders an wie deutsches Deutsch!

Das Mädchen, bei dem wir letzte Woche einen Nagel aus dem Bronchus entfernt haben, ist wieder wohlauf und kommt mir mit einem strahlenden Gesicht entgegen, sie kann am Dienstag heimgehen. Ein anderes Mädchen ist mit nur 4 Fingern auf der linken Hand auf die Welt gekommen und die Finger waren nicht separiert, sondern die Hand hat ungefähr wie eine Flosse ausgeschaut. Drum haben wir diese Fehlstellung korrigiert; der 5. Finger war zwar knöchern angelegt, der Knochen jedoch sehr verkümmert und es konnte kein neuer Finger draus geformt werden, darum wurde er entfernt.

Bei der Patientin, welcher wir in meiner 1. Woche eine Zyste von der Bauchspeicheldrüse punktiert hatten, hat sich diese wieder gefüllt und musste erneut punktiert werden. Diesmal ist aber keine klare Flüssigkeit mehr herausgekommen, sondern ein bräunlich - schwarzes, stinkendes Etwas - die Bauchspeicheldrüse hat begonnen, sich selbst aufzulösen! Ich frage nach, wie lange das dauern kann, die Ärzte schütteln nur den Kopf- eine Frage der Zeit.
2 Tage später sehe ich, wie eine Patientin auf die Intensiv verlegt wird, sie hat Atemnot und der Zuckerhaushalt ist völlig durcheinander. Als Sophie mir sagt, dass es DIESE Patientin ist, erschrecke ich mich, ich hätte sie nicht wiedererkannt. Sie ringt nach Luft und die Ärzte tun noch, was in ihrer Macht steht, doch nach einer Stunde ist ihr Kampf vorbei, sie liegt jetzt ganz friedlich und entspannt in ihrem Bett.

Wie ich nochmal auf Intensiv hineingehe, fragt mich Dr. Olivier, ob ich traurig bin - was ich nur mit "ja" beantworten kann. Kurz darauf kommt der Ehemann und die Kinder, hier gehen die Leute ganz anders mit ihrer Trauer um. Das ganze Krankenhaus hat gehört, was los ist, der Klageschrei ist ein ganz eigener... Sophie kann hinausgehen und für die trauernde Familie da sein, ich hätte es in diesem Moment nicht gekonnt. Deswegen verschanze ich mich hinter mein Wörterbuch - da gibt es genug zu lesen und nach kurzer Zeit ist mir ein bisschen leichter. Das Leben geht weiter - so auch bei uns.

Ein belgischer Patient kommt mit einem eingewachsenen Zehennagel und ich bin erleichtert, wenn ich zwischendurch mit den Pat. mal wieder auf Englisch reden kann. Bei einem Amerikaner entfernen wir wahrscheinlich ein Basaliom, auch er kommt zum Verbandswechsel. Beim kleinen Jungen vom letzten Freitag, der sich den Oberarm gebrochen hat, wird ein Kontrollröntgen gemacht; dazu hat er Ketamin erhalten, ein Medikament, bei dem einem alles "wurscht" wird, er ist damit sehr lustig zu beobachten, schneidet Grimassen und schaut ganz verwundert auf seinen Arm, von dem die Ruhigstellung fürs Röntgen entfernt wurde. Leider steht der Bruch nicht schön und er wird nächste Woche operiert.

Am Dienstag hab ich den Visumantrag fürs Jahresvisum ausgefüllt - die wollen hier sogar Grösse und Gewicht wissen... Am Sonntag gibt mir Silvia eine vorläufige Bestätigung für dieses Visum (solange mein Pass in Kinshasa ist), doch beim Durchlesen sehe ich, dass ich jetzt deutsche Staatsbürgerin bin - das muss geändert werden! Da sehe ich, dass es mit den Beamten hier nicht anders ist wie in Deutschland- die lesen einfach nicht richtig...!

Der Freitag war der schlimmste Tag der Woche - dabei hat er eigentlich ganz gut angefangen. In der Früh denke ich mir noch - Freitag, ob heute wieder ein Notfall kommt? Ich mache einige Verbandswechsel, helfe bei einer Coloskopie, während eine andere Pat. schon für die nächste Endoskopie vorbereitet wird. Dann kommt noch ein kleines Mädchen dran, bei dem 2 kleine Warzen im Gesicht entfernt werden sollen. Wie ich aus dem Eingriffsraum rausgehe, um 2 kleine Pflaster zu holen, sehe ich eine Blutspur am Boden und frage nach, was da los ist. 2 Männer, die dabeistehen, zeigen nur auf den OP und wie ich da hineingehe, sehe ich eine Windelhose, die ganz blutig ist - ein kleines Kind, das leise vor sich hinwimmert! Schnell wird die andere Patientin fertig gemacht und wie ich wieder zurückkomme, liegt der Junge am Rücken und aus dem linken Unterbauch - Übergang Leiste - ist sein Darm ausgetreten und er blutet sehr stark. DAS ist wirklich ein Notfall, in aller Eile wird der Tisch gedeckt, der Pat.ientsteril gewaschen und abgedeckt.
Ich frage mich, was hier los ist und was passiert ist, aber es ist keine Zeit für Erklärungen. Wie wir in den Bauchraum hineinschauen, sehen wir, dass die Vene für den Oberschenkel (V. fem. sin.) über eine lange Strecke aufgerissen ist und das die Blutungsquelle ist. Schnell wird sie geklemmt und das 2. Ende des Gefässes aufgesucht. Der Junge hat schon sehr viel Blut verloren (es hat 20 Minuten gedauert, bis sie da waren und es wurde kein Druckverband angelegt), deshalb sind seine Gefässe bereits kollapiert aufgrund des hohen Flüssigkeitsverlustes. Dr. Delgado lässt die nächste Infusion direkt in die zerschnittene Vene, als plötzlich sein kleines Herz aufhört, zu schlagen. Herzmassage!

Ich habe eine Passage aus dem Stück "Elias" von Mendelssohn im Kopf: "O Gott, lasse die Seele dieses Kindes wieder zu ihm kommen"... und " es ist kein Leben mehr in ihm..." Die bereitgestellten Bluttransfusionen werden händisch im Schuss hineingedrückt, aber uns sind in diesem Moment die Hände gebunden... Der Schweiss läuft unter unseren Mänteln seine Bahnen, jeder arbeitet auf Hochtouren, bis wir uns eingestehen müssen, dass wir nichts mehr tun können. Nur ja keine Einzelheiten merken, da ich die Bilder sonst nicht mehr aus meinem Kopf bekomme! Ich merke, wie ein Gefühl in mir aufsteigt, das ich gar nicht mag und als Kloss im Hals stecken bleibt. Dr. Daudet beginnt, die Wunde zuzunähen, dass die Stimmung sehr gedrückt ist, kann man sich vorstellen. Was uns noch bleibt, ist, den Jungen sauber zu waschen und alle Blutspuren zu beseitigen, damit er so gut wie möglich seiner Familie übergeben wird. Ich beginne, meine Sachen wegzuräumen, wir legen den Jungen auf eine Liege und stellen ihn vor der Intensiv ab.

Hinter der Mauer wartet die Patientin noch immer auf ihre Endoskopie - hoffentlich bleibt sie, wo sie ist- wir haben sonst keinen Platz, wo wir ihn hinstellen können. Endlich erfahre ich, was passiert ist: der Junge, 3 Jahre alt, war bei seinem Freund- seine Eltern waren beide in der Arbeit. Die beiden Buben haben gespielt, im Spiel wollte der eine dem anderen eine Spritze geben. Der Junge rennt weg, stösst dabei gegen eine Glasvitrine, das Glas zerbricht und fügt ihm diese schwere - tödliche - Wunde zu! Was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass die Mutter des verstorbenen Jungen lange nicht schwanger geworden ist und deswegen 4x operiert wurde, bis endlich DER Junge gekommen ist... Der Kloss in meinem Hals wird immer grösser, es ist einfach nur furchtbar!

Wie freue ich mich auf diesen Tag, wenn es keinen Tod mehr geben wird! Aber es liegt eben nicht in unserer Hand, wann Leben genommen wird. Ich lenke mich mit Arbeit ab - da ist er wieder - der Klageschrei der Mutter, die soeben eingetroffen ist. Nur kurz kann ich mitansehen, wie sie um ihr Kind trauert- ich muss gehen.

C´est la vie... Zuhause verläuft das Essen an diesem Tag sehr still, jeder hängt seinen Gedanken nach und es braucht eine Weile, bis wir darüber reden können. Dr. Delgado vermutet, dass der Bub zusätzlich zur schweren Gefäßverletzung noch eine Pulmonalarterienembolie gehabt hat, denn beim Absaugen der Lunge ist es zum Schluss nur mehr blutig gekommen. Ob Silvia dabei an ihre Tochter denken muss, die mit 7 Jahren an den Folgen einer Schussverletzung gestorben ist?
Auch aus der Hundehütte sind jeden Tag Babies weggekommen! Wie ich Sophie davon erzähle, sagt sie gleich, dass die Mutter die Kinder gegessen hat! Ich kann und will das nicht glauben, das ist ja voll arg! Schön langsam reicht es mir mit den Todesfällen dieser Woche!

Am Samstag VM sitze ich im Garten und habe den Eindruck, die Kleinen winseln zu hören - da muss ich nochmal nachschauen gehen! Die Hundehütte ist noch immer leer, da kommt die Mutter der Babies und will gestreichelt werden. Ich frage sie, was sie mit ihren Kindern gemacht hat und sie sie doch nicht essen kann, woraufhin sie weggeht. Ich schaue ihr hinterher und sehe, dass sie unter dem Container verschwindet, der neben der Hundehütte steht - und kurz darauf höre ich die Trinkgeräusche der Jungen! Also sind doch nicht alle tot! Die Frage ist nun, wieviele noch da sind. Ich kann im Schatten zuerst nichts ausmachen, doch dann sehe ich, wie 4 Hundis munter herumstapfen und sich gerade darin üben, wie die Erwachsenen zu bellen! So süß! Da freue ich mich sehr drüber, dass diese Woche nicht ganz vom Tod überschrieben wird.

Ich gehe mit Dr. Delgado ins Krankenhaus und helfe ihm bei einer Untersuchung, danach plaudere ich noch mit den Schwestern auf der Station. Dabei sehe ich, wie ein Junge vom Verbandswechsel kommt- aber er hat keine Füsse und Unterschenkel! Auf seinem Krankenblatt sehe ich, dass er 14 Jahre alt ist und sein Gesicht strahlt eine Fröhlichkeit und Lebensfreude aus, die mich ganz klein werden lässt! Mir kommt der Gedanke, was ein gutes Leben ausmacht!? Ich frage nach, was er hat ... angeborene Fehlbildung, er geht entweder auf seinen Stummeln vom Knie oder auf allen Vieren!

Und heute haben wir wieder einen "Notfall" gehabt- ein Patient hatte einen Abszess, der ihn schon 3 Nächte nicht schlafen liess aufgrund der Schmerzen und heute war der richtige Zeitpunkt, diesen Abszess aufzumachen... Ich sags ja, wie zu Hause in Österreich!

So, das war´s wieder von meiner Seite. Eure kalten Temperaturen sind einer der wenigen Gründe, die ich hier nicht vermisse!
Wünsche Euch eine gute Woche und schick

sonnige und warme Grüsse

Claudia Vieth